AT-OeStA/AdR ZNsZ GA Gaupersonalamt des Reichsgaues Wien ("Gauakten"), 1938 - 1945 (Bestand)

Archivplan-Kontext


Angaben zur Identifikation

Signatur:AT-OeStA/AdR ZNsZ GA
Titel:Gaupersonalamt des Reichsgaues Wien ("Gauakten")
Entstehungszeitraum:1938 - 1945
Stufe:Bestand
Frühere Signaturen:04R009/1

Angaben zum Umfang

Anzahl:5750
Archivalienart:Akten

Angaben zum Kontext

Aktenbildner-/Provenienzname:Gaupersonalamt des Reichsgaues Wien 1938-1945
Verwaltungsgeschichte:Schon im Organisationshandbuch der NSDAP 2. Aufl. aus dem Jahr 1937 (S. 140 - 141, 173-175) erscheint das Gaupersonalamt als wesentlicher Bestandteil jeder Gauleitung. Dementsprechend wurde nach dem Anschluss auch in der Wiener Gauleitung eine derartige Abteilung eingerichtet.
Archivierungsgeschichte:Als sich 1945 die Front Wien näherte, misslang die beabsichtigte Vernichtung der "Gauakten". Die Heizanlagen des Parlamentsgebäudes (des "Gauhauses") wurden so voll gepfercht, dass nur eine (anhand von erhalten gebliebenen Karteikarten vermutbare) spezielle, großteils sachbezogene Geheimaktenserie der Vernichtung anheim gefallen sein dürfte, während die Personenakten so gut wie vollständig erhalten blieben. Nach der Eroberung Wiens durch die Rote Armee gelang es dem Innenministerium, die Existenz der Gauakten vorerst zu verheimlichen. Die Beschlagnahme durch die Besatzungsmacht oder die kommunistisch orientierte Wiener Staatspolizei hätte zur Verschleppung des Aktenbestandes führen können.
Seitens der amerikanischen Besatzungsbehörden erfolgte 1948 die Übergabe der Erfassungsanträge, der Akten der Österreichischen Legion, des Flüchtlingshilfswerkes, des Studentenbundes sowie der Stammblätter gefallener und vermisster SS-Angehöriger an das Bundesministerium für Inneres. Diese Aktenserien dürften großteils aus der Münchner Reichsparteileitung gestammt haben und wurden in die "Gauakten" eingearbeitet. Lediglich die Serie der "Erfassungsanträge" blieb als alphabetisch gelagerte eigene Aktenserie bestehen.
In den folgenden Jahren traten geringe Verluste nicht nur durch die seitens bestechlicher Beamter durchgeführte Beseitigung einzelner Akten ein, sondern wohl auch durch - stets dementierte - "Freundschaftsdienste" zugunsten politischer Gesinnungsgenossen, die in der Korrektur (teilweisen Beseitigung) oder Vernichtung ganzer Akten bestand. Immerhin spielte der Bestand eine - zweifellos überschätzte - Rolle als innenpolitisches Druckmittel, da es möglich schien, mit Hilfe dieser "Spitzelakten" dem politischen Gegner im Bedarfsfall eins ans Zeug zu flicken. Glücklicherweise wurde die immer wieder geforderte bzw. angekündigte Vernichtung der Gauakten niemals Realität. Gegen Ende des Jahres 1990 wurde der Bestand vom Bundesministerium für Inneres dem Archiv der Republik übergeben.
Die Akten liegen nicht alphabetisch (außer der Aktenreihe der Erfassungsanträge), sondern in einer Zahlenserie, sodass die Auffindung eines Aktes die Kenntnis der Aktenzahl voraussetzt.

Die erhalten gebliebene originale Namenskartei wurde nach 1945 in die Kartei der Abteilung 2 (Staatspolizei) des Bundesministeriums für Inneres eingearbeitet. Es handelt sich um eine "phonetische" Kartei, was bedeutet, dass ausspracheähnliche Laute (Buchstaben) unter einem Buchstaben zusammengefasst werden (z. B. B und P unter B, Ca, Ch, Ck, Cl, Cm, Cn, Co, Cr, Cu, G und K unter G, Q unter Gf und X unter Gs) um Fehler durch Unsicherheiten und Wechseln in der Schreibweise zu neutralisieren.

Nach der Übergabe der Akten wurde seitens des Bundesministeriums für Inneres begonnen, die Karteien wieder zu trennen. Dies wurde einerseits systematisch (für die Buchstaben A und B/P) begonnen, andererseits wahllos und zufällig durchgeführt. Mehr als ein Jahr hindurch mussten die Aktenzahlen der von Forschern gesuchten Akten durch Rückfragen im Bundesministerium für Inneres festgestellt werden. Auch diese Karteikarten wurden der Gesamtkartei entnommen. Daneben wurden auch anlässlich aktueller Benützung der Kartei im Weg befindliche Karteikarten dem schließlich mehrere zehntausend Stück umfassenden, völlig ungeordneten Karteikartenberg angeschlossen. Dies geschah keineswegs aus reiner Fahrlässigkeit, sondern es wurde vor allem in Bezug auf den anderen Teil der Gesamtkartei (Akten der Abt. 2 des Bundesministeriums für Inneres und Nachfolgeabteilungen) bewusst eine Unbrauchbarmachung der ans Archiv abgegebenen Karteiteile durchgeführt. Diese Maßnahme und die Vernichtung historisch wertvollster Aktenbestände waren die Folge der seit 1945 immer wieder aufkeimenden und seit den späten 1980er Jahren mit großer Heftigkeit geführten öffentlichen Kampagne gegen die Tätigkeit der Staatspolizei, zu der nur insoweit Stellung genommen sei, als sie auf den Zustand und die Benützbarkeit des Gauaktenbestandes von Belang ist. Nachdem die Staatspolizei unter dem Druck der Medien und angesichts der weltpolitischen Veränderung begann, ihre Tätigkeit auf Verfolgung des internationalen Terrorismus, der NS-Kriegsverbrechen und des Rechtsextremismus zu konzentrieren, gelangte schließlich im Februar 1992 die in Rede stehende Gesamtkartei ins Archiv und steht hier mit den durch die erwähnten Vorgänge erklärbaren Einschränkungen zur Verfügung.

Angaben zu Inhalt und Struktur

Inhalt:Flüchtlingshilfswerk; Österreichische Legion; Parteianwärter; Parteimitglieder; Personalakten der Parteifunktionäre; politische Beurteilungen
Ordnung und Klassifikation:Die Einzelfallsakten des Gaupersonalamtes Wien bildeten lediglich den Grundstock dieses Aktenbestandes, der durch vielfältigste Anreicherung teilweise den Charakter einer Dokumentation gewann. Soweit die betreffenden Unterlagen der NSDAP in die Hände gefallen waren, wurde wohl schon ab März 1938 die Personalakten der Funktionäre ("Amtswalter") und politischen Beurteilungen der Bundesleitung der Vaterländischen Front aufgebaut, sodass zahlreiche Akten weit in die 30er Jahre zurückreichen. Den gleichen Zeitraum betreffen die im Deutschen Reich entstandenen und nach dem Anschluss vielleicht sogar lückenlos in die Gauakten eingearbeiteten Unterlagen über Österreichische Legionäre und über geldliche Unterstützungen für ins Reich geflüchtete österreichische Nationalsozialisten (Flüchtlingshilfswerk). Ebenso wurden Akten des NS-Studentenbundes und Stammblätter gefallener und vermisster SS-Angehöriger (vermutlich dem SS-Ergänzungsamt Süd-Ost entstammend) in die Gauakten eingearbeitet.

Da einerseits die politische und strafrechtliche Vergangenheit der betroffenen Personen durchleuchtet und andererseits aktuelle gerichtsanhängige Fälle in die Akten aufgenommen wurden, enthalten die Akten oft nicht nur bis 1900 zurückreichende Urteilsausfertigungen, sondern auch Anklageschriften und Urteilsausfertigungen von Straf- und Parteigerichten 1938 bis 1945 sowie von Volksgerichtsurteilen der Nachkriegszeit. Auch Zeitungsausschnitte wurden den Akten beigelegt oder auch von den zu Beurteilenden oder sonstigen Einbringern eines Ansuchens als Beweismittel vorgelegt.

Die Eingeber übermittelten häufig auch Abschriften und Originale von persönlichen Dokumenten (kirchliche, standesamtliche und militärische Personaldokumente, Gesundheitszeugnisse, Dekrete und Diplome), Ausweise, Schilderungen der eigenen Taten und Erlebnisse sowie Empfehlungsschreiben. Neben Korrespondenzen über die betreffende Person finden sich in den Akten zahlreiche Parallelüberlieferungen zu Behörden und Dienststellen, deren Archivalien nur zum Teil erhalten sind:

NS-Wiedergutmachungsstelle und NS-Vermittlungsstelle, Staatskommissär Dr. Otto Wächter (Berufsbeamtenangelegenheiten), Gildemeesteraktion zur Befreiung politischer Häftlinge, Volkssturm.

Wohl nach Kriegsende wurden den "Gauakten" erhalten gebliebene personenbezogene Akten des Gauschatzamtes und zahlreiche Karteien wie „Asozialenkartei", „Warnkartei" (Warnungskartei vor politischen Gegnern, die im Organisationsbuch für die NSDAP 1937 nur für das Hauptpersonalamt der NSDAP vorgesehen war), Auszeichnungskarteien (z. B. Erinnerungsmedaille an den März 1938) sowie nach 1945 entstandene Karteikarten (aufgeklebte Ausschnitte aus den staatspolizeilichen Fahndungsblättern) eingearbeitet.

Aus dieser Entstehungsgeschichte ist erklärlich, daß das Bestehen eines Gauaktes bei weitem nicht notwendigermaßen bedeutet, daß der Betreffende NSDAP-Mitglied war, vielmehr finden sich auch Akten über politische Gegner, GeistlicheJuden, KZ-Häftlinge und "Asoziale". So manche Akten beziehen sich auf Personen, die das Dritte Reich sicherheitshalber um die Zeit des Anschlusses verlassen hatten (z. B. Ernst Rüdiger Fürst Starhemberg). Manche Gauakten (z. B. von höheren SS-Führern) bestehen nur aus nach 1945 entstandenen Unterlagen meist amerikanischer Provenienz, die im Rahmen der strafrechtlichen Verfolgung der betreffenden Personen angelegt wurden. Sehr dicht ist der Aktenbestand in bezug auf Beamte und Kulturschaffende, da bei letzteren die Berufsausübung an die Zugehörigkeit zur betreffenden Standesvertretung (Reichsschrifttumskammer, Reichsfilmkammer etc.) gebunden war und die Aufnahme in diese eine politische Perlustrierung voraussetzte. Ebenso scheint der überwiegende Teil der Ariseure und Kreditwerber in den Akten auf.
Der Aktenserie der politischen Beurteilungen ist jene der alphabetisch gereihten ca. 505.000 ausgefüllten "Erfassungsanträge" (="Personal-Fragebögen") der Ostmark und des Sudetengaues angeschlossen, die einen Gesamtüberblick über die illegalen Mitglieder der NSDAP 1938 bieten. Dieser Überblick ist allerdings insoweit nicht mehr gegeben, als die Erfassungsanträge jener Personen, über die ein Akt der Hauptreihe existiert, dort eingelegt wurden und keine Gesamtliste oder Möglichkeit eines indexmäßigen Zugriffes auf die solchermaßen "verlagerten" Erfassungsanträge existieren.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wurden die Akten nicht nur durch neu entstandene Unterlagen angereichert, sondern es wurden auch andere Aktenbestände (Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Statthalterei Wien Baldur von Schirach, Gauleitung Niederdonau) für Zwecke dieser Dokumentation seitens des Innenministeriums "geplündert" und oft sehr wesentliche Akten aus diesen Beständen entnommen und den Gauakten angeschlossen. Auch Akten des Bestandes "Bundeskanzleramt/Inneres (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit-Staatspolizeiliches Büro)" aus der Zeit 1933 bis 1938 finden sich als aus dem Staatsarchiv entlehnte und nicht zurückgestellte Vorakten in den Gauakten.

Obwohl es sich prinzipiell um die Akten des Personalamtes des Gaues bzw. Reichsgaues Wien handelt und Akten anderer "österreichischer" Gaupersonalämter nicht enthalten sein dürften, reicht der territoriale Wirkungskreis - entgegen den Intentionen der NS-Machthaber - weit über Groß-Wien hinaus. Personen aus dem gesamten ehemaligen österreichischen Bundesgebiet sind ebenso betroffen wie jene aus den 1939 angegliederten südböhmischen und südmährischen Gebieten, rückgesiedelte Volksdeutsche aus dem Südosten Europas, Südtiroler und Rücksiedler aus der ganzen Welt. Vereinzelt gibt es "Sachakten" bzw. "Sammelakten", die sich auf Personengruppen (Firmenbelegschaften, Angehörige einer Berufsgruppe) beziehen.

Angaben zur Benutzung

Zugangsbestimmungen:Der Bestand ist gemäß Bundesarchivgesetz (BGBl. I/162/1999) in Zusammenhang mit der Benutzerordnung des Österreichischen Staatsarchivs in der jeweils gültigen Fassung zugänglich.
Sprache:Deutsch
Findhilfsmittel:Kartei, Datei

Angaben zu verwandtem Material

Veröffentlichungen:Zur Auffindung und Sicherung der Gauakten nach Kriegsende:
Portisch, Hugo: Österreich II. Die Wiedergeburt unseres Staates. S. 318f., Wien 1985.

Zur öffentlichen Diskussion der 1960er Jahre um die Vernichtung der Gauakten, wobei diese mit den Staatspolizeiakten in einen Topf geworfen wurden:
Svoboda, Wilhelm: Franz Olah. Eine Spurensicherung. S. 85ff., Wien 1990

Weitere Bemerkungen

Bemerkungen:Die Akten werden nach dem Tod der Betroffenen zur Benützung freigegeben, ist das Todesjahr nicht bekannt 100 Jahre nach dem Geburtsjahr. Bei Bestellung ist das Geburtsdatum der Person anzugeben.
 

Verwandte Verzeichnungseinheiten

Verwandte Verzeichnungseinheiten:keine
 

Benutzung

Schutzfristende:31.12.1975
Erforderliche Bewilligung:Keine
Physische Benützbarkeit:Uneingeschränkt
Zugänglichkeit:Öffentlich
 

URL für diese Verz.-Einheit

URL:https://archivinformationssystem.at/detail.aspx?ID=5462
 

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